Das Crescendo in der Zeit

Aufnahme auf den historischen Instrumenten im Klaviermuseum im Schloss Kremsegg bei Kremsmünster
2006 (Vol. 31, 2 CDs)


Das Projekt „Crescendo in der Zeit“ reagiert auf das sich immer mehr als ein Faktum herausstellende Phänomen, dass die Musikinstrumente, und hier vor allem das Klavier, durch die „technischen Verbesserungen“ im Laute der Zeit immer lauter geworden sind.
Historisch scheint hier wohl auch die sogenannte „Mannheimer Schule“ eine Rolle zu spielen, das Mannheimer Orchester, 1750, also am Ende des Barock, von Kapellmeistern und Komponisten aus dem slawischen, französischen und deutschen Raum ins Leben gerufen. Diese Künstler haben die Dynamik zu einem Teil der Komposition gemacht und damit das Moment der Steigerung als Reiz, der auf das Publikum eine bis dahin nicht dagewesene Wirkung ausübte, entdeckt.
„Ein Reiz“, sagt Nikolaus Harnoncourt, „der einmal auf uns wirkt, überwältigt uns beim zweiten Mal nicht mehr so. Das heißt, beim zweiten Mal muss es schon ein bisschen lauter sein. Diese neue Einführung der Dynamik hat dazu geführt, dass die Musik natürlich in ihren Steigerungen immer lauter wurde… Das war jahrhundertelang vorher nicht nötig.“ Hand in Hand mit dem komponierten „Lauterwerden“ hat dieses Phänomen auch auf den Bau der Instrumente abgefärbt, mit der Gefahr, zusätzlich noch mit außerkompositorischer Wirkung einen Reiz auszuüben.
Es ist sicher eine singuläre Qualität, wenn die pianistische Ausbildung den Weg der Orientierung am Originalklang der Instrumente in der Form zu gehen versucht, dass man den Studierenden die historischen Instrumente direkt in die Hände gibt. Sie erhalten damit ein gleichsam retardierendes Moment eingeschoben, nicht nur ins „Crescendo“ der Klangfülle, auch in das „Stringendo“ einer zum Selbstzweck sich steigernden Virtuosität im zunehmend „Veloziferischen“ – was Goethe schon beklagte – der Entwicklungsverläufe in der Zeit. Die gemeinhin übliche Praxis in der Ausbildung wird durch die Erweiterung mit historischen Alternativinstrumenten zur Reflexion gebracht und schließlich auch auf einen Forschungspfad geführt, und das um so mehr, wenn, wie bei diesem Projekt, die Instrumentalisten ihre Erfahrungen auch mit eigenen Kommentaren zum Ausdruck bringen konnten (Booklet).

Die vorliegende CD „Das Crescendo in der Zeit“ läßt sich exemplarisch auf die Herausforderung ein, die nachschöpferische Künstler, vor allem aber Musiker als Interpreten eines im Laufe der Musikgeschichte überbordend gewordenen Repertoires, ernst nehmen müssen. Es wird, was die Komponisten zu sagen hatten, nicht eins zu eins rekonstruierbar sein. Das muß es auch nicht. Worum es geht. ist die Authentizität der künstlerischen Aussage. Sie kann zeitlos sein. Zu gewinnen ist sie aber nicht allein mit interpretatorischer Inspiration und Einfühlung, diese brauchen Reflexion und ein großes Wissen um die Sache.
Frau Ayami lkeba, Universitätsprofessorin für Klavier an der Kunstuniversität Graz, hat dieses Projekt – es entspricht unserem Globalziel „Praxis und Reflexion“ – initiiert und mit ihren Kolleginnen und Kollegen, in ihrer Dankadresse sind sie erwähnt, mit großer künstlerischer Sachkenntnis und Beharrlichkeit umgesetzt.
Die jungen Interpretinnen und Interpreten dieser Aufnahme sind zu beglückwünschen, dass sie in sehr hohem Maße für etwas Außergewöhnliches motivierbar waren und nun durch die Kunstuniversität Graz in ihrem pianistischen Studium mit einem absolut nicht alltäglichen Ausbildungsvorteil für ihre Karriere ausgestattet worden sind.
 

Otto Kolleritsch, Rektor


Titelliste:

CD 1

  • B. Pasquini (1637-1710) aus der Partita Nr. 2 G-Dur [00:25]
  • J. S. Bach (1685-1750) Präludium Nr. 1 aus dem WTK I C-Dur [02:30]
  • J. S. Bach, Czerny-Fassung, Präludium Nr. 1 aus dem WTK I C-Dur [01:23]
  • J. Ch. Bach (1735-1782) Zwei Menuette c-Moll [01:06] und C-Dur [01:12]
  • Ferruccio Busoni

    J. Haydn (1732-1809) 1. Satz aus der Sonate XVI/23 F-Dur [05:10]

  • J. G. Schwanberger (1737-1804) Sonate g-Moll (Ersteinspielung) 1. Allegro ma non molto [03:54], 2. Presto [02:05]

  • W. A. Mozart (1756-1791), 1. Satz aus der „Sonata facile“ KV 545 C-Dur [03:42]
  • L. v. Beethoven (1770-1827) 1. aus dem 1. Satz der „Mondscheinsonate“ op. 27 Nr. 2 cis-Moll [01:27], 2. aus dem ersten Satz der „Sturmsonate“ op. 31 Nr. 2 d-Moll [01:40], 3. aus den Bagatellen op. 126-4 Es-Dur [00:32]
  • R. Schumann (1810-1856) aus „Papillon“ op. 2 D-Dur [00:44] 
  • W. A. Mozart (1756-1791) „Alla Turca“ aus der Sonate KV 331 A-Dur [04:00]

  • F. Burgmüller (1806-1874) Ballade c-Moll [01:27]

CD 2

  • M. Clementi (1752-1832) Sonatine Nr. 3 C-Dur [04:22]
  • M. Clementi (1752-1832) Preludio, alla Haydn op. 19 Nr. 2 C-Dur [01:37]
  • J. L. Dussek (1760-1812) Due Preludi, 1. Stück C-Dur [01:40]
  • F. Schubert (1797-1828) Aus den „Gratzer Walzer“ op. 91a Nr. 1 [00:36] und 12 E-Dur [00:53]

  • J. Netzer (1808-1864) 4-händig Andante D-Dur [01:52] und Rondo (ein Scherz) G-Dur [03:40]
  • F. Chopin (1810-1849) 1. Walzer op. 64 – 1 „Minuten Walzer“ Des-Dur [01:53] 2. Mazurka op. 24 – 1 g-Moll [02:56]
  • J. Brahms (1833-1897) 4-händige Walzer op. 39 Nr. 1 H-Dur [00:52]
  • F. Liszt (1811-1886) Sonnetto 104 del Petrarca E-Dur [07:01]